Ich wurde nicht erschossen

Heute ist Tag 1 nach dem Stallbrand Europas größter Ferkelfabrik bei 17129 Alt Tellin, Mecklenburg Vorpommern. Ich bin um 6 Uhr aufgewacht und hatte als erstes die ohrenbetäubenden Schweineschreie im Kopf. Erstmal einen Kaffee. Dann rein in die Klamotten und ab zur Ruine des Grauens. Ich kann nicht anders, muss es nochmal sehen, muss es dokumentieren.

Ich bewege mich wie gestern südwärts über das Feld und sehe, dass es immer noch höllisch qualmt.

24 Stunden ist es jetzt her und obwohl ich Rückenwind habe schlägt mir ein bestialischer Gestank nach verbranntem Fleisch, Plastik und sonstwas entgegen. Meine Augen fangen an zu brennen.

45.000 Tiere sind hier gestern verreckt? Ich kann das immer noch nicht glauben. Ich bewege mich schnell vorwärts, will Fotos machen und es hinter mich bringen.

Da kommen mir zwei Menschen in Uniform auf dem Acker entgegen und geben mir schon von weitem per Handzeichen zu verstehen, dass sie wohl etwas dagegen haben, dass ich hier bin.

Ein Mann und eine Frau in billigen Uniformen, wie man sie kennt mit billigem Logo sprechen mich an, fragen was ich hier wolle. Ich sage Fotos machen.

Das gehe nicht, das sei hier privat. Ich sage, das hier sei keinesfalls privat, sondern eine der größten Scheisse, die sich die Menschheit im Industriewahn habe ausdenken können. Okay, ich bin nicht diplomatisch und überfordere die beiden sofort.

Jedenfalls, Fotos machen gehe nicht. Ich sage, ich stehe nicht auf dem Betriebsgelände und sie würden illegal handeln. Dann kommt die Verständnistour: "Man mache doch nur seinen Job!" Ich frage, welchen denn? Na den, zu verhindern, dass ich hier Fotos mache. Ich sage und das machen Sie für 5€ die Stunde? Jetzt wirds gefährlich. Ich denke, dass ich die beiden eigentlich überwältigen könnte, hasse aber Gewalt und will später noch zur Demo, zu der viele Anwohner aufgerufen haben.

Also gehe ich und denke mir plötzlich, wow, in Brasilien hätte ich wahrscheinlich nicht so mit diesen uniformierten Privatpolizisten reden können, sondern wäre sofort erschossen worden - wie das eben so ist, wenn man die Drecksgeschäfte "systemrelevanter" und vom Staat legitimierter Verbrecher sichtbar machen will. Vielleicht sind wir in Deutschland doch weiter und selbst Menschen "die nur ihren Job machen" spüren tief im Innern, dass sie etwas ganz dummes tun und es lieber bleiben lassen sollten. Aber was macht man da? 6€ geben?

Später fahre ich nochmal an dem Schlachtfeld vorbei und finde das sechs Meter hohe Protestkreuz vor der Zufahrt stehen, unerschütterlich, mahnend und ich sehe, es hat gewonnen.


31.3.2021 Gedenk-Aktion vor Ort